Was nun? Die Innenstadt

zwischen den vier Wällen –

Identität und Perspektiven

Krefeld – was nun?

Die Innenstadt zwischen den vier Wällen – Identität und Perspektiven

Die Krefelder Innenstadt wird von vielen Bürgern der Stadt als unattraktiv und problematisch wahrgenommen. Der Leerstand von Ladenlokalen in ehemals „guten Lagen“ wie dem Ostwall oder der Königs- und Hochstraße, der unwirtliche Theaterplatz mit seinem brutalistischen Seidenweberhaus sowie die laute St. Antonstraße, die als Durchfahrtsstraße den Wallbereich in zwei Hälften teilt, gehören neben der allgemeinen Verwahrlosung zu den am häufigsten angeführten Kritikpunkten. Die ehemals gefeierten Großbauten von Horten, C&A und Schwanenmarkt, für die ganze Baublöcke einschließlich so repräsentativer Bauten wie der historischen Markthalle und dem Hotel Krefelder Hof abgerissen wurden, überzeugen heute ebenso wenig wie das Primat des Handels zu Lasten des Wohnens.

Rheinstraße 1960er Jahre (Postkarte)
Nordstraße 2022 © CL

Was ist passiert, seit der Gelehrte Wilhelm von Humboldt der Stadt 1789 nicht nur Sauberkeit und vortreffliche Straßen attestierte, sondern auch ein „gefälliges, lachendes Ansehen“?

Es sind vor allem die Resultate der Stadtentwicklung der späten 1960er und 1970er Jahre, die heute als dysfunktional betrachtet werden: Die Erfindung der City mit Funktionsentmischung und Autogerechtigkeit griff stärker in die Erscheinung der Stadt ein als der Wiederaufbau nach Kriegsende, bei dem man schon aus pragmatischen Gründen die Struktur der Straßen und mit ihnen das der Abwasserkanäle erst einmal bestehen ließ.

Die Maßstabssprengungen der 1970er brachten das feine Gefüge der Plätze, Straßen und Fassaden aus dem Takt. Aber nicht überall.

Krefeld, das 1373 sein Stadtrecht erhielt, und 200 Jahre später nach einem Brand eine Zeit lang verwaiste, war lange Zeit nicht größer als ein Dorf. Erst mit dem Zuzug der aus katholischen Territorien vertriebenen Mennoniten und ihrer Leinenweberei entwickelte sich eine wirtschaftliche Blüte, die bald dazu führte, dass die Stadt zu eng wurde.

Mutig setzte der mit der ersten Stadterweiterung beauftragte Planer am Ende des 17. Jahrhunderts – Krefeld stand unter oranischer (niederländischer) Herrschaft – zwei schnurgerade, parallele Straßen östlich der gekrümmten Stadtbegrenzung und schuf mit der Königs- und späteren Lohstraße die Grundlage eines orthogonalen Stadtgrundrisses nach niederländischem Vorbild.

Alle zukünftigen Erweiterungen schrieben das Rasterprinzip fort. Allein im 18. Jahrhundert waren weitere vier „Auslagen“ nötig, um für die schnell wachsende Bevölkerung Wohnraum zu schaffen. Im 19. Jahrhundert gab der preußische Regierungsbaurat und Düsseldorfer Baumeister Adolph von Vagedes (1777 – 1842) dem städtischen Grundriss mit vier „Wällen“ seine endgültige Form. Sie sollten jedoch nicht mehr der Verteidigung dienen, sondern als Promenaden der Erholung. Die Stadt war nun zum Umland geöffnet.

Der nördliche Wall (heute Nordstraße) wurde zwar nie in der Pracht ausgeführt wie die drei anderen und um 1870 sogar um einen Block nach Süden verlegt, aber bis heute prägen die Wälle das Stadtbild der Innenstadt, ebenso das ebenmäßige Raster der Straßen, die sich immer wieder zu Plätzen ausweiten, die rechteckigen Baublöcke und die ungewöhnlich langen Sichtachsen. Und auch die Größe der historischen Parzellen ist an vielen Orten erhalten. Einige sind nur mit Rumpfgebäuden ohne Obergeschosse versehen, einige mit überzeugender Bebauung der Nachkriegszeit, und nicht wenige weisen bis heute eine Bebauung von klassizistischer Klarheit oder übertriebener Pracht der Gründerzeit auf.  Vor allem im südlichen Bereich der Wälle ist in großem Umfang historische Bausubstanz erhalten, wenn auch zum Teil in einem sehr schlechten Zustand.

Hochstraße 1910 ca
Hochstraße 1960er Jahre (StAKR)
Schwanenmarkt um 1912 (StAKR)

Liegt in dieser tradierten Struktur das Potential für die Zukunft der Stadt? Kann aus ihr eine Innenstadt entwickelt werden, in der Wohnen und Arbeiten, Kultur und öffentliches Leben wieder nebeneinander existieren, und die als Stadt der kurzen Wege auch den ökologischen und ökonomischen Anforderungen der Zukunft gerecht würde?

Das Amsterdamer Architekturbüro MIR Architecten und das Rotterdamer Büro Contrei (vorm. Flexus AWC) sind dieser Frage nachgegangen. Die Stadt Krefeld hatte sie 2019 beauftragt, eine Kulturhistorische und Städtebauliche Analyse der Innenstadt zwischen den Wällen durchzuführen, wie sie in den Niederlanden als Basis für die Stadtplanung obligatorisch ist. Sie haben die Stadt seziert, ihre Entstehung sorgfältig rekonstruiert und aus dieser DNA Vorschläge für die städtebauliche Zukunft Krefelds entwickelt.

In dem Dokumentarfilm Krefeld, was nun? folgen Christiane Lange und Helge Drafz den AutorInnen der Studie, Claudia Schmidt, Hugo van Velzen und Marcel van Winsen, durch die Stadt und stellen die Erkenntnisse der kulturhistorischen Analyse vor.  Film und Ausstellung möchten zur Debatte anregen über die mögliche Schönheit der Krefelder Innenstadt und ihr Potential als Stadt für Menschen (Jan Gehl 2010)

Während die bisherige Forschung von Projekt MIK der Verbindung der Seidenindustrie mit der internationalen Avantgarde der 1920er–1960er Jahre gewidmet war, führt die kulturhistorische Analyse sie zu den Anfängen dieser Industrie in Krefeld und ihrer prägenden Wirkung auf die bauliche Entwicklung der Stadt.

Ausstellung mit Dokumentarfilm im Krefeld Pavillon von Thomas Schütte
Kaiserstraße Ecke Wilhelmshofallee (im Kaiserpark)

10.07.—25.09.2022
Öffnungszeiten: Mi–So 12.00–18.00 Uhr*
*wegen Konzertveranstaltung ist die Ausstellung
am Sa., den 16.07. nur bis 15.00 h und
am Sa., den 17.09. nur bis 17.00 Uhr geöffnet.
Am So., 04.09. bleibt sie ganz geschlossen.
Eintritt: 8 EUR (keine Verbundkarten)
SchülerInnen und Studierende Eintritt frei

Krefeld – was nun?
Die Innenstadt zwischen den vier Wällen – Identität und Perspektiven

Dokumentarfilm von Helge Drafz
und Christiane Lange (HD) 60 Min.

Buch und Recherche:
Helge Drafz und Christiane Lange

Kamera: Bärbel Ziebold
Ton: Johannes Ziebold
Schnitt: Julius Krenz

Die „Kulturhistorische städtebauliche Analyse“ (KHSA) wurde am 29. und 31. März 2022 vom Rat als städtebauliches Entwicklungskonzept gemäß §1 Abs. 6 Nr. 11 des BauGB beschlossen und ist für die weiteren Planungsprozesse in der Innenstadt zu berücksichtigen. Die formulierten Kernaussagen der KHSA werden anerkannt und als Ziele für die zukünftige Stadtentwicklung der Krefelder Innenstadt im Bereich der vier Wälle zu Grunde gelegt. (29. und 31.3. 2022) 

Die Veranstaltungsreihe wird gefördert von

sowie von privaten Förderern